Rezension zu
Ars Organi, 2007, 55. Jahrgang, Heft 2, S. 138.
Es ist grundsätzlich eine überaus erfreuliche Entwicklung, dass in den letzten vier bis fünf Dezennien in bestimmten zeitlichen Abständen immer wieder das Thema Orgeldenkmalpflege auf die Tagesordnung von Tagungen gesetzt wurde. Das gilt ebenso für die dort kontrovers diskutierten Beiträge und Ansichten. Vor allem, dass das im Spiegel der Zeit stattfindet, also unter Bezugnahme des jeweiligen Erkenntnisstandes bzw. durch Einfließen neuer Erkenntnisse, was naturgemäß den Diskurs nicht ausschließt, zeigt den hohen Stellenwert, der der Orgeldenkmalpflege beigemessen wird. Dabei steht sie nicht als Monolith allein in der Landschaft, sondern ist in die allgemeine Denkmalpflege eingebunden. Dennoch existieren, wie aus den verschiedenen Beiträgen dieses Bandes unmissverständlich hervorgeht, einige prinzipielle Unterschiede zur allgemeinen Denkmalpflege. Es handelt sich hinsichtlich der Orgel um ein Musikinstrument für den praktischen Gebrauch. Deshalb können Denkansätze, wie sie z.B. seitens der musealen Präsentation in der Regel zugrunde gelegt werden, nicht oder höchstens in sehr begrenztem Umfang greifen.
Das Schwerpunktthema der o. g. Tagung lautete Dokumentation von Orgelrestaurierungen, also ein Bereich der Orgeldenkmalpflege, der in den letzten drei bis vier Jahrzehnten stets an Bedeutung gewonnen hat. Die hier vorgestellte Publikation darf als Quintessenz der Tagung verstanden werden. Im Grunde ist die Diskussion um eine adäquate Dokumentation von Orgelrestaurierungen gar nicht mehr neu. Seit gut 35 Jahren – z. T. noch länger – praktizieren manche Orgelbauwerkstätten dieses aufwändige Verfahren intern bzw. in Abstimmung mit der Orgeldenkmalpflege. Trotzdem hat sich die umfassende Dokumentation von Orgelrestaurierungen allgemein noch nicht durchgesetzt. Deshalb gilt dem Herausgeber, OBM Wolfgang Rehn, sowie den übrigen Autoren dieses sehr aufschlussreichen Bandes höchste Anerkennung, diesen wichtigen Aspekt der Orgeldenkmalpflege in die allgemeine Diskussion der Fachwelt eingebracht zu haben.
Die verschiedenen Beiträge der vorliegenden Publikation spiegeln die Auseinandersetzung der Orgeldenkmalpflege im Kontext unterschiedlicher Herangehensweisen wider, wodurch die Weite der im Raum stehenden Fragestellungen aufgezeigt wird. OBM Friedrich Jakob als promovierter Musikwissenschaftler und ehem. langjähriger Leiter des Hauses Kühn in Männedorf b. Zürich, referierte über Sinn und Zweck der Dokumentation von Orgelrestaurierungen. Hier spricht der Praktiker, der den wissenschaftlichen Aspekt nicht aus dem Blickfeld verliert. Seine durchweg nachdenklichen Ausführungen belegen ebenso, dass manchmal auch über das Ziel hinaus geschossen werden kann.
In eine ähnliche Richtung gehen die Ausführungen von Martin Kares mit dem Titel Dokumentation im kirchlichen Umfeld – Vision und Realität. Kares geht es insbesondere um die Problematik, von einer historischen Orgel etwas zu verlangen, wofür sie nicht geschaffen wurde. Dieses Phänomen ist nicht erst seit den letzten drei Jahrzehnten akut, sondern schon wesentlich früher, als man z. B. im norddeutschen Raum versuchte, so manche Orgel Philipp Furtwänglers wenigstens „Bach-tauglich" zu machen.
Joost van Gemert beleuchtet in seinem Beitrag das Verhältnis von Orgelwissenschaft und Musikwissenschaft im heutigen Kontext. Seine Kernaussage lautet: „Den Musikwissenschaftlern sollten wir klarmachen, wie interessant die Orgel ist." Dabei muss sich die Orgelwissenschaft stets als interdisziplinärer Forschungsbereich verstehen.
In seinem aus zwei Teilen bestehenden Vortrag geht Niclas Fredriksson auf die Antiquarisch-technische Dokumentation von Orgeln, wie sie im GOArt der Universität Göteborg praktiziert wird, detailliert ein. Für Fredriksson ist das kein Selbstzweck, sondern ein probates Mittel, um die Orgel im Bewusstsein der multimedialen Gesellschaft als „exzellentes Instrument für Studien der globalen und universellen kulturgeschichtlichen Milieudynamik" zu verankern.
Marc Schaefer berichtet über Erfahrungen zur Orgeldokumentation in Frankreich. Schaefer beschreibt die besondere Situation der dortigen staatlich organisierten Orgeldenkmalpflege. Hierzu zieht er einige interessante Fallbeispiele heran wie die Silbermann-Orgeln in Ebersmünster und in Altorf. Bei letzterer konnte man sich endlich entschließen, ihren „gewachsenen" Zustand als Ausgangspunkt für eine Restaurierung zu nehmen, da das 1884 von Martin Rinkenbach anstelle des ursprünglichen Echos geschaffene Schwellwerk eine geschlossene Einheit in Übereinstimmung mit dem Gesamtklangkörper darstellt.
Über die Situation der Orgeldenkmalpflege in der Schweiz berichtet Georg Carlen in seinem Beitrag Erfahrungen und Ansprüche aus der Sicht der Schweizer Denkmalpflege. Carlen zeigt anhand der chronologischen Entwicklung der schweizerischen Orgeldenkmalpflege das zunehmend intensivere und zugleich behutsamere Herantasten an historische Orgeln einschließlich der Aufgabe von vorgefertigten Lehrmeinungen fiktiven Charakters.
Aus der Sicht des Orgelbauers nimmt OBM Wolfgang Rehn, jetziger Leiter der Restaurierungsabteilung des Hauses Kuhn, zu den Fragen der Dokumentation von Orgelrestaurierungen Stellung. Wiederum erfreulich, und das zeigt der gesamte Band, werden die anstehenden Fragen konkret angesprochen und Lösungswege dargestellt.
Die abschließend von Paul Peeters geleitete Diskussion führte die verschiedenen Gedanken zusammen. Einhellig besteht die Auffassung, dass im Rahmen der Dokumentation von Orgelrestaurierungen zunächst der „Ist-Zustand" penibel zu erfassen ist. Die genaue Darstellung des Befundes ist überhaupt die Grundvoraussetzung für nachfolgende Erhaltungsmaßnahmen. Neben der akribisch durchgeführten archivalischen Aufarbeitung, die m. E. etwas in den Hintergrund geriet, können Abbildungen/Fotografien sowie auch Tonträger eine wertvolle Ergänzung bilden. Hier spielt heutigentags das Digitalformat im Rahmen der datentechnischen Erfassung eine nicht unwesentliche Rolle.
Was die Dokumentation von Orgelrestaurierungen selbst betrifft, unterscheidet sie sich grundsätzlich von einer lediglich vorgenommenen Inventarisation. Der Dokumentation sind bestimmte Mindeststandards zugrunde zu legen. Neben der peniblen Aufnahme des Befundes müssen ebenso die einzelnen Schritte der Restaurierung ggf. Rekonstruktion dokumentiert werden. Genau das war und ist der Tenor der Tagung und der vorliegenden Veröffentlichung, um darzustellen, nach welchen Kriterien welche Maßnahmen ergriffen wurden.
Die beiden im Nachspann wiedergegebenen Erfassungsbögen der IAOD ergänzen vorteilhaft diese Publikation.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass hier auf hohem Niveau unter Berücksichtigung der Praxis eine vorzügliche Anleitung zur Dokumentation von Orgelrestaurierungen der Fachwelt dargeboten wurde. Es wäre zu wünschen, dass dieser Tagungsbericht mit seinen wegweisenden Aussagen sich zum Allgemeingut der Orgeldenkmalpflege entwickelt.
Thomas Lipski